Alles Natur oder Watt?
Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist fast nichts wie im Nationalpark Schwarzwald. Nur eines: Auch er ist eine Spur wilder.

Das Wattenmeer ist hochdynamisch: Die Vogelinsel Trischen wandert jährlich etwa 30 Meter nach Osten – die Hütte des Vogelwartes steht nach einigen Jahren nicht mehr in der Inselmitte, sondern in der Brandung. (Foto: Martin Stock/LKN-SH)

Ein bekanntes Wahrzeichen bei Sankt-Peter-Ording, umgeben von dynamischer Natur: der Leuchtturm Westerhever. (Foto: Martin Stock/LKN-SH)

Eine gute Nachricht: Die Seehundbestände im Wattenmeer sind stabil. Rund 40 000 Tiere leben an den Nordseeküsten von Deutschland, Dänemark und den Niederlanden, davon 12 000 in Schleswig-Holstein. (Foto: Martin Stock/LKN-SH)

Das Land in Deutschlands Norden endet nicht am Deich. Wer oben drauf steht, sieht Meer. Wenn gerade welches da ist. Ist keines da, blickt man auf den Meeresboden, der dann für einige Stunden zugänglich ist. Eine Attraktion für urlaubende Wattläufer: 130 000 nehmen jährlich an geführten Wattexkursionen teil. Eine Attraktion aber auch für hungrige Watvögel: Aus ihren Brutgebieten in der sibirischen, grönländischen und kanadischen Arktis fliegen sie 4000 Kilometer an, teilweise nonstop. Ausgemergelt erreichen sie das Watt, aber ihr 40-stündiger Flug lohnt sich. In wenigen Tagen kommen sie zu Kräften und ziehen nach einigen Wochen weiter in ihre meist westafrikanischen Überwinterungsgebiete.
Oberflächig betrachtet scheint das Watt nichts als Schlick zu sein, in dem kaum Tiere leben. Das Gegenteil ist der Fall: Würmer, Muscheln und Schnecken bringen es auf über zehn Tonnen nasser, tierischer Biomasse je Hektar. Kein Urwald, kein Korallenriff bietet mehr. Diese Top-Öko-Attraktion macht das Watt zum vogelreichsten Gebiet Europas, das zehn Millionen Zugvögel und eine Million Brutvögel nutzen. Die rund 140 Kilometer lange schleswig-holsteinisches Küste ist eine ornithologische Premiumadresse im dänisch-deutsch-niederländischen Wattenmeer: Fast alle europäischen Brandgänse, rund 150 000 Vögel, mausern im August in entlegenen Wattbereichen, mehrere Hunderttausend Alpenstrandläufer, Knutts und andere Watvögel rasten im Frühjahr und Herbst auf den ausgedehnten Salzwiesen. Auf Vogelinseln und Halligen brüten große Seevogelkolonien und im Vorland bei Neufeld die letzten Paare der äußerst seltenen Lachseeschwalben in Mitteleuropa.
Das Wattenmeer gilt als Deutschlands wertvollste Naturlandschaft. Mit dem 1985 in Schleswig-Holstein eingerichteten Nationalpark (Niedersachsen und Hamburg folgten 1986 und 1990) ist das Wattenmeer gut geschützt. Natur und Mensch profitieren. Früher von Schafen zu kurz gehaltene Salzwiesen wachsen auf einem Drittel ihrer Fläche wieder natürlich. Hunderte seltener Kleintiere, Insekten und Spinnen, profitieren von diesen neuen, grünen Lebensräumen. Die Jagd auf Wasservögel wurde eingestellt, Waffenerprobungen in der Meldorfer Bucht finden kaum noch statt und auch Flugzeuge verursachen in 600 Metern Höhe kaum noch Störungen. Nationalpark-Vereinbarungen mit Fischern, Wassersportlern und Gemeinden ergänzen das Nationalparkgesetz und bilden ein Meisterwerk des Interessenausgleichs.
Jährlich erleben eine Million Urlauber den Nationalpark bei Wattführungen, Vorträgen oder Besuchen naturkundlicher Informationszentren. Naturschutzverbände, Nationalpark-Wattführer und -Ranger sind kompetente persönliche Betreuer. Nationalpark-Partner, über hundert touristische Betriebe, die besonders informiert, zertifiziert und engagiert sind, kommen hinzu.
Schleswig-Holsteins Nationalpark ist der größte zwischen dem Nordkap und Sizilien. Die hohe Naturschutz-Qualität spiegelt sich in einer Reihe internationaler Auszeichnungen, die in Europa wohl einzigartig ist. Der Nationalpark ist FFH- und Vogelschutzgebiet der Europäischen Union, Biosphärenreservat der UNESCO, PSSA Schutzgebiet der Internationalen Meeresorganisation und Feuchtgebiet internationaler Bedeutung nach dem Ramsar-Abkommen. 2009 wurde das deutsch-niederländische Wattenmeer zudem von der UNESCO zum Weltnaturerbe der Menschheit erklärt, was dem Nobelpreis des Naturschutzes gleichkommt.
Blickt man vom Deich ins Watt, so freut man sich, wie die Einheimischen heute ihren Nationalpark sehen. Demonstrationen von Fischern, wie vor der Novellierung des Nationalparkgesetzes im Jahr 1999, sind Geschichte: 2012 erklärten 45 Prozent, ihnen sei der Nationalpark wichtig, weitere 43 Prozent waren gar stolz auf den Nationalpark. Das wärmt das Herz, auch wenn es auf dem Deich mal kalt und windig ist.
Drei Nationalparks
Der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattemeer ist nicht nur der größte der drei deutschen Wattenmeer-Parks, sondern mit 441 500 Hektar der größte Nationalpark Europas. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer umfasst 345 800 Hektar, der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer 13 750 Hektar. Die drei Schutzgebiete kooperieren eng und haben einen gemeinsamen Internetauftritt, von dem aus auch die Homepages der drei einzelnen Parks zu erreichen sind: www.nationalpark-wattenmeer.de.
Zusammen mit dem dänischen und dem niederländischen Wattenmeer bildet das insgesamt 11 500 Quadratkilometer große Schutzgebiet ein gemeinsames UNESCO-Weltnaturerbe und steht damit auf einer Stufe mit Naturwundern wie Great Barrier Reef, Grand Canyon oder Serengeti.
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